Wochenendaufgabe Nr.124: Mit den Augen eines Kiebitzes
Und nun die Lösung der beiden Partiefragmente, die die letzte Wochenendaufgabe bildeten:
Stellung 1:
Amos, Frank (2092) - Busch, Lorenz (2152)
Sulzfeld Open (A), Runde 5, Brett 8 (16.05.2015)
Weiß am Zug gewinnt
In der Partie erfolgte hier 2.Sef5 Sdxf5 3.Sxf5 h4 und Weiß glaubte, einen Bauern gewinnen zu können nach 4.Sxg7 Kxg7 5.Df5, doch hielt Schwarz die Stellung einfach mit 5...De7= und spätestens hier hätte Weiß die Notbremse ziehen müssen und mit z.B. 6.b4 den Damenflügel lahmlegen sollen. Stattdessen tauschte er mit 6.f4 noch ein Bauernpaar am Königsflügel und ließ Schwarz zu ...a5 und ...b4 kommen, was den weißen Damenflügel lahmlegte und quasi einen Mehrbauern schuf. Nach Damentausch und ...c6-c5 konnnte er mit dem verbliebenen Freibauern auf der d-Linie einfach gewinnen.
Weiß dagegen hätte in der Ausgangsstellung nach dem achtlosen 1...h6-h5 seines Gegners mit 2.gxh5! Sxh5? (schlägt Schwarz nicht zurück, verliert er schnell nach 3.Sf5)
3.Sg4!+- (s. großes Diagramm rechts)
entscheidend Material gewonnen.
Der wunde Punkt f6 und die gabelfreundliche Stellung der schwarzen Dame und des schwarzen Königs binden den Sh5 an sein Feld, Weiß droht nun einfach Sg3xh5 mit Figurengewinn. Die einzige Chance ist noch 3...Kg7, doch nach 4.Dh1! Sxg3 5.Dh6+ Kf7 6.Dxf6+ Kg8 7.Dxd6 ist die Sache für Schwarz hoffnungslos.
Stellung 2:
Dauner, Karl (2094) - Bounianer, Vladimir (2152)
Sulzfeld Open (A), Runde 5, Brett 7 (16.05.2015)
In einer von Weiß dominierten Partie ergab sich in der fünften Spielstunde nebenstehendes Turmendspiel. Weiß hatte schon lange einen Bauern mehr, doch war die Verwertung dieses Vorteils immer schwierig. Auch jetzt scheint es, als könnte Schwarz weiter Bauern tauschen und somit die weißen Gewinnaussichten - trotz mittlerweile zweier Mehrbauern - minimieren.
Weiß fand eine kraftvolle und sehr konkrete Fortsetzung, nämlich den Durchbruch am Königsflügel mit 1.g4! hxg4. Jetzt wie in jedem folgenden Zug muss man die Komplikationen, die sich nach ...b5-b4 ergeben, durch präzise und am Brett kaum durchführbare Berechnungen berücksichtigen. Möglich sind immer Motive wie 1...b5-b4 2.cxb4 axb4 3.a4 Th3 etc. Wir wollen uns im folgenden nur auf die sehr sehenswerte Partiefortsetzung beschränken.
2.h5! Die Idee des doppelten Bauernopfers ist natürlich die, den f-Bauern freizukämpfen. Da der schwarze Turm gefangen ist, bleibt Schwarz nur das Gegenspiel mit ...b5-b4.
2...gxh5
Werfen wir einen kurzen Blick auf die Alternative: 2...b4 3.axb4 (oder äquivalent sofort 3.hxg6, am Ende bleiben die a-Bauern übrig, was für die Ideen in dem resultierenden Turmendspiel keine Auswirkungen hat). 3...axb4 4.hxg6 bxc3 5.bxc3 Kf5 (sonst folgt tödlich 6.f5+-) 6.g7 Tb8 7.Ta2+- Weiß spielt 8.Ta7 und gewinnt dank der beiden Freibauern, wovon man sich selber leicht überzeuge.
3.f5 b4 Das Rennen startet!
4.axb4 Wieder ergibt sich für unsere Hauptvariante kein Unterschied, ob mit oder ohne a-Bauern; am Brett kennt man diese (computergestützte!) Einschätzung freilich nicht und so grübelte Weiß auch einige Zeit darüber nach, ob er den Tausch nun einschieben soll oder nicht.
4...axb4 5.f6
5...bxc3 (s. kleines Diagramm links)
Weiß am Zug gewinnt
Hier stellt sich nun die große Frage: Kann Weiß 6.f6-f7 durchziehen und in einer Stellung D+T gegen D+T+2B den in der Mitte stehenden König von Schwarz mattsetzen? Oder soll er doch lieber das bescheidene 6.bxc3 spielen?
Weiß entschied sich in der Partie (bei knapper Restbedenkzeit von nur noch gut 10min) für 6.bxc3 und konnte nach 6...Tb8 7.f7 Tf8 nicht mehr gewinnen. Den Rest sah ich zwar leider nicht mehr, doch könnte es ungefähr so weitergegangen sein: 8.Kg3 Ke5 9.Kh4 Ke6 10.Kxh5 g3 11.Tg2 Txf7 12.Txg3 Kd5= und offensichtlich überlebt der verbliebene weiße Bauer nicht mehr lange.
Mein Gefühl, dass es ein Matt geben muss, täuschte mich beim Beobachten nicht, doch lieferte erst eine häusliche Analyse dieser komplizierten Stellung schließlich den richtigen Weg.
6.f7! cxb2
6...c2? ist Quatsch: 7.Txc2 Tb8 8.Te2+ und 9.Te8+-.
7.f8=D
7...b1=D (s. großes Diagramm rechts)
Die kritische und überdies eine sehr schwierige Stellung. Gibt es ein Matt? Wie soll man anfangen? Natürlicherweise sollte Weiß hier mit jedem Zug Schach geben und für einen menschlichen Spieler kommt es nicht infrage, Varianten wie 8.Te2+? Kd3 9.De8 zu prüfen, auch wenn dies "fast" gewinnen würde - der Computer findet die einzige Verteidigung 9...Tb2!=, wonach Weiß nur ein Dauerschach übrigbleibt.
Weiß stehen laut Computerbewertung viele Gewinnzüge zur Verfügung - selbst 8.Df6!? gewinnt (bzw. verdirbt nicht den Gewinn), denn nun zeigt sich, dass Schwarz kein Schachgebot und auch sonst keinen sinnvollen Zug zur Verfügung hat. Nach z.B. 8...Dd3 kann Weiß immer noch mit 9.Df4+ Kd5 10.Td2++- gewinnen.
Diese vielen Möglichkeiten machen die Sache freilich nicht einfacher. Beschränken wir uns also auf die logischen Fortsetzungen.
Von den naheliegenden Schachgeboten scheidet 8.Tf4+ Ke3 aus, wobei man hier fairerweise die Computerfortsetzung 9.Dh6! erwähnen sollte, die (zufälligerweise?) auch noch für Weiß gewinnt.
Von den übrigen vier Damenschachs auf der e- und f-Linie gewinnen tatsächlich alle, doch wird sich ein guter Spieler, ebenso wie ein unbedarfter Kiebitz, sicher zunächst dem direkten 8.Df5+ zuwenden, weil dabei die schwarzen Antwortmöglichkeiten minimal sind.
8...Kd4
Nach 8...Ke3? 9.Df4+ ist's bald Matt.
9.Tf4+ Ke3
Oder 9...Kc3 10.De5+ Kd2 (10...Kc2 11.De2+ Kc1 12.Tf1#) 11.Tf2+ Kd3 mit Zugumstellung zur Hauptvariante.
10.De5+ Kd2
10...Kd3 11.Dd4+ Kc2 12.Tf2+ Kc1 13.Dd2#.
11.Tf2+ Kd3 12.Dd5+ (oder 12.De2+) 12...Kc3
13.Dd2+ (s. großes Diagramm rechts)
Erst durch dieses Manöver kann der schwarze König aus der für ihn sicheren Brettmitte an den Rand vertrieben werden. Ab jetzt ist es relativ einfach.
13...Kc4 14.Tf4+ Kb5 15.Dd5+ Kb6
Auf 15...Ka6 gewinnt 16.Dc6+!, z.B. 16...Tb6 17.Ta4#.
16.Tf6+ Ka7 17.Da5+!
Es gewinnt genausogut 17.Tf7+, z.B. 17...Tb7 18.Da5+ Kb8 19.Tf8#.
17...Kb7 18.Da6+ Kb8 (oder 18...Kc7 19.Tf7+) 19.Tf8+ Kc7 20.Tf7+ Kb8 21.Da7+ Kc8 22.Dc7#.
Wahrlich keine einfache Aufgabe für Weiß! Die möglich gewesene Gewinnvariante demonstriert eindrücklich die Stärke von Dame und Turm bzw. die Bedeutung des Zugrechts in solchen Schwerfigurenendspielen. Auf dem Weg zum Ziel waren einige geschickte Manöver sowie eine perfekte Koordination der Schwerfiguren vonnöten.