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Wochenendaufgabe Nr.124: Mit den Augen eines Kiebitzes

 

Über das lange Wochenende fanden wie jedes Jahr verschiedene kleinere Opens statt, so auch zum 26. Mal das kleine, aber feine Open in Sulzfeld (nahe Eppingen). Ein spontaner Kiebitzbesuch hat gestern den Autor dieser Zeilen dazu bewogen, nach längerer Pause wieder (in hoffentlich regelmäßigen Abständen) die ehemalige Kolumne "Wochenendaufgabe" aufzunehmen. Zu interessiert waren wieder einmal die Schlachten an den Brettern, als dass sie unveröffentlicht bleiben dürften!

 

Folgende zwei Stellungen ergaben sich gestern in Runde 5 an benachbarten Brettern kurz vor bzw. nach der Zeitkontrolle, also nach etwa vier Stunden Spielzeit:

 

 

Stellung 1:

 

Amos, Frank (2092) - Busch, Lorenz (2152)

 

Sulzfeld Open (A), Runde 5, Brett 8 (16.05.2015)

 

Weiß am Zug gewinnt

 

Obwohl die Stellung immer im Gleichgewicht war, hat Weiß seit der Eröffnung konsequent darauf gespielt, die weißfeldrigen Schwächen (e6 und nun v.a. f5) im schwarzen Lager auszunutzen, während Schwarz geduldig abgewartet und alle Drohungen pariert hat. Mit seinem letzten Zug 1...h6-h5? wollte er weiter die Dinge vereinfachen, übersah aber eine Kleinigkeit (wie auch sein Gegner, der nicht ideal fortsetzte, seinen Vorteil verspielte und am Ende noch knapp verlor).

 

Wie konnte Weiß hier zuschlagen?

 

 

 

 

Stellung 2:

 

Dauner, Karl (2094) - Bounianer, Vladimir (2152)

 

Sulzfeld Open (A), Runde 5, Brett 7 (16.05.2015)

 

In einer von Weiß dominierten Partie ergab sich in der fünften Spielstunde nebenstehendes Turmendspiel. Weiß hatte schon lange einen Bauern mehr, doch war die Verwertung dieses Vorteils immer schwierig. Auch jetzt scheint es, als könnte Schwarz weiter Bauern tauschen und somit die weißen Gewinnaussichten - trotz mittlerweile zweier Mehrbauern - minimieren.

 

Weiß fand eine kraftvolle und sehr konkrete Fortsetzung, nämlich den Durchbruch am Königsflügel mit 1.g4! hxg4. Jetzt wie in jedem folgenden Zug muss man die Komplikationen, die sich nach ...b5-b4 ergeben, durch präzise und am Brett kaum durchführbare Berechnungen berücksichtigen. Möglich sind immer Motive wie 1...b5-b4 2.cxb4 axb4 3.a4 Th3 etc. Wir wollen uns im folgenden nur auf die sehr sehenswerte Partiefortsetzung beschränken.

 

2.h5! Die Idee des doppelten Bauernopfers ist natürlich die, den f-Bauern freizukämpfen. Da der schwarze Turm gefangen ist, bleibt Schwarz nur das Gegenspiel mit ...b5-b4.

 

2...gxh5

 

Werfen wir einen kurzen Blick auf die Alternative: 2...b4 3.axb4 (oder äquivalent sofort 3.hxg6, am Ende bleiben die a-Bauern übrig, was für die Ideen in dem resultierenden Turmendspiel keine Auswirkungen hat). 3...axb4 4.hxg6 bxc3 5.bxc3 Kf5 (sonst folgt tödlich 6.f5+-) 6.g7 Tb8 7.Ta2+- Weiß spielt 8.Ta7 und gewinnt dank der beiden Freibauern, wovon man sich selber leicht überzeuge.

 

3.f5 b4 Das Rennen startet!

 

4.axb4 Wieder ergibt sich für unsere Hauptvariante kein Unterschied, ob mit oder ohne a-Bauern; am Brett kennt man diese (computergestützte!) Einschätzung freilich nicht und so grübelte Weiß auch einige Zeit darüber nach, ob er den Tausch nun einschieben soll oder nicht.

 

4...axb4 5.f6 bxc3 (s. Diagramm links)

 

Weiß am Zug gewinnt

 

Hier stellt sich nun die große Frage: Kann Weiß 6.f6-f7 durchziehen und in einer Stellung D+T gegen D+T+2B den in der Mitte stehenden König von Schwarz mattsetzen? Oder soll er doch lieber das bescheidene 6.bxc3 spielen?

 

Weiß entschied sich in der Partie (bei knapper Restbedenkzeit von nur noch gut 10min) für die falsche Fortsetzung. Mein Gefühl sagte mir, dass es ein Matt geben muss, doch konnte auch ich (als distanzierter Kiebitz, der ja bekanntlich viel mehr sieht als die Spieler am Brett...) keinen direkten Weg finden. Erst die häusliche Analyse dieser komplizierten Stellung lieferte schließlich Klarheit.

 

Viel Vergnügen mit diesen beiden Aufgaben!